„Der FDP-Landtagsfraktion ist es ein wichtiges Anliegen, mit der älteren Generation in den Dialog zu treten“, so der Fraktionsvorsitzende Dr. Hans-Ulrich Rülke auf dem diesjährigen Liberalen Seniorentag im vollbesetzten Plenarsaal des Landtags. Rülke freue sich über die gestiegene Lebenserwartung, doch es gehe nicht nur um ein langes Leben, sondern auch darum, dem Alter Qualität zu geben. „Dazu gehört auch, Rahmenbedingungen für eine menschenwürdige und qualitativ hochwertige Pflege zu schaffen und dafür die notwendigen Arbeitskräfte zu qualifizieren. Das wird die zentrale Herausforderung in den nächsten Jahren sein, die wir Liberale in unserer Arbeit im Blick haben“ so Rülke bei der Begrüßung der über 140 Gäste im Landtag. Vor diesem Hintergrund werde auf dem Kongress auch die Frage diskutiert, welche Rolle Quartiersansätze der älteren Generation bieten und welche politischen Rahmenbedingungen für ein seniorengerechtes Leben gewährleistet sein müssen.
Der seniorenpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion und Moderator des Seniorentags, Rudi Fischer, ergänzte, „Alter und AlterN ist vielfältig und ebenso der Bedarf an Unterstützung. Für die diversen Lebensumstände muss die Politik entsprechende vernünftige Möglichkeiten schaffen. Das reicht von der Entlastung von Pflegeeinrichtungen und ambulanten Pflegedienstleistern von unnötiger Bürokratie über barrierefreie Mobilität bis hin zu einer guten medizinischen Versorgung im Land.“ Da sieht Fischer noch Spielraum für mehr Engagement der Landesregierung, denn „bisher lässt das grüne Sozialministerium eine landesweite Krankenhausplanung vermissen, die perspektivisch den medizinischen Fortschritt, das Fachkräftepotenzial und die flächendeckende Versorgung berücksichtigt. Die Zeit zu handeln, ist jetzt!“
Zum nunmehr 12. Mal führte die FDP-Landtagsfraktion in Zusammenarbeit mit der Liberalen Senioren Initiative (LSI) den Liberalen Seniorentag durch, zu dem ausgewiesene Experten eingeladen sind. Unter dem Titel „Gut leben im Alter – neue Perspektiven durch eine generationengerechte Quartiersentwicklung“ wurden wesentliche Fragen diskutiert, die für die Lebenssituation älterer Menschen entscheidend sind.
Für den Vorsitzenden der Liberalen Senioren Initiative (LSI), Dr. Wolfgang Allehoff, ist gutes Leben im Alter noch nicht erreicht. Denn „es gibt neben der gewöhnlichen Altersdiskriminierung auch eine Diskriminierung der Landbevölkerung durch die Stadtbevölkerung, die vor allem Ältere betrifft.“ Das macht er beispielsweise an der Forderung des grünen Verkehrsministers Herrmann fest, Menschen über 65 Jahre sollten ihren Führerschein abgeben. Für Dr. Allehoff ein Unding, denn „in ländlichen Regionen kommt es nicht darauf an, ob dort überhaupt ein Bus fährt, sondern wie oft am Tag. Die ländliche Bevölkerung ist auf das Auto angewiesen, um mobil zu bleiben.“ Für ihn ist klar, dass „künftige Seniorengenerationen in individualisierten Gemeinschaften so lange wie möglich urban und mit größtmöglicher Unabhängigkeit in der Mitte der Gesellschaft leben“ möchten. Dafür müsse die Politik mit vernünftigen Rahmenbedingungen sorgen.
Prof. Dr. Eckart Hammer, der Vorsitzende des Landesseniorenrats Baden-Württemberg e.V., appellierte an die gesellschaftlichen Kräfte, die Herausforderungen des demografischen Wandels anzunehmen. Denn, die Schere zwischen Arm und Reich gehe besonders im Alter noch weit auseinander, es fehle an Pflegekräften und die Tendenz zur Vereinsamung wüchse gerade im Alter. Für ihn ist klar, „jeder Mensch braucht seine Tagesdosis an Bedeutung für andere.“ Diese soziale Einbettung sieht er in quartiersähnlichen inklusiven Wohnformen, wie Nachbarschaften, Stadtteilen oder Dörfern gewährleistet, wo Gemeinschaften jenseits familiärer Strukturen entstehen, die sich gegenseitig unterstützen und den Umzug in ein Pflegeheim hinauszögern könnten. Denn „je älter wir werden, desto mehr verkleinert sich unser Radius und die Nachbarschaft und das Quartier wird wichtiger.“ Im Quartier oder in ein einer Nachbarschaft seien für Hammer die vier Bausteine guten Alterns am besten gewährleistet: Lernen, Bewegung, Beziehungen und Humor.
Dr. Constanze Heydkamp, Mobilitätsexpertin beim Fraunhofer IAO, Stuttgart, gab mit ihrer Präsentation einen Blick in die Zukunft. „Wenn sich der Radius langsam verkleinert, können mobile, zeitlich flexible, niederschwellige Konzepte und die Bündelung von Zielen helfen. Das bieten beispielsweise mobile Frisöre, das mobile Rathaus, routenungebundene individuelle ÖPNV-Modelle oder multiple Einkaufsmöglichkeiten an einem Ort.“ Bei der Gestaltung von Lebensräumen spielt die Generationengerechtigkeit eine wichtige Rolle, denn wenn Bedürfnisse von Kindern wie von Senioren berücksichtigt werden, gewinnen alle Teile der Gesellschaft. „Was also für einen Teil der Bevölkerung gut ist, kann auch für einen anderen Teil hilfreich sein. Von Mehrgenerationen-Wohnen, bebilderten Buslinien und Kombinationsprojekten von Seniorenheimen und Kindertagesstätten profitieren ältere Menschen und Kinder gleichermaßen.“
Michael Theurer, Landesvorsitzender der Freien Demokraten und parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Digitales und Verkehr, zeigte sich in seinem Abschlussstatement zuversichtlich, dass wir in den nächsten Jahren riesige Quantensprünge erleben werden, was die persönliche und autonome Mobilität angehe. Dabei gehe es stets um eine generationengerechte Gestaltung, etwa bei der Barrierefreiheit und der Digitalisierung von Verkehrs- und Mobilitätskonzepten.
(Quelle: Pressemitteilung der FDP Landtagsfraktion vom 05.06.2022)
Grußwort des Vorsitzenden der Liberalen Senioren Dr. Wolfgang Allehoff
Dieses Motto für unsere Veranstaltung beinhaltet die Frage Gut leben im Alter – haben wir das für die meisten von uns bereits erreicht? Ich würde sagen: Nein
Wir von den Liberalen Senioren arbeiten parteiübergreifend mit den anderen politischen Vorfeldorganisationen zusammen. Und da haben wir Konsens, dass es vor allem zwei uns Ältere betreffende Diskriminierungen gibt – gegen die wir auch gemeinsam vorgehen müssen:
Zum einen die gewöhnliche Altersdiskriminierung. Und zum anderen die Diskriminierung der Landbevölkerung durch die Stadtbevölkerung – die vor allem die Älteren betrifft.
Beispiele gefällig?
Zur gewöhnlichen Altersdiskriminierung zuerst:
• Im Berufsleben – jenseits eines bestimmten Alters brauchen Sie erst gar nicht versuchen, eine Anstellung zu finden. Im Beamtenrecht ist das sogar festgeschrieben. In der freien Wirtschaft ist Anfang 50 Schluss mit lustig. Keine Einstellung mehr – Weiterbildung in Großbetrieben für diese Altersgruppe – Fehlanzeige. Es gibt 100 weitere Beispiele. Sie sind in den Altenberichten der Bundesregierung dokumentiert.
• Bei der Bildung – zwischen Seniorenstudenten einerseits und jüngeren gibt es Spannungen. Im Zentrum dieser steht zumeist die Frage, ob Menschen, die ihre neu gewonnenen Qualifikationen nicht beruflich nutzen werden, in den Genuss knapper Ressourcen (Sitzplätze in Hörsälen, Aufmerksamkeit und Zeit Lehrender) kommen sollten. Auch im Altenbericht dokumentiert.
• Noch ein Beispiel von den vielen: Teilnahme am Straßenverkehr
„Die Gesellschaft“ ist der Meinung, ältere Fahrer hätten ein erhöhtes Unfallrisiko. Wikipedia schreibt dazu: „Aus Statistiken geht allerdings hervor, dass der Anteil derjenigen, die einen Unfall schuldhaft verursacht haben, ab dem 25. Lebensjahr sinkt. Zwar nimmt ab dem 70. Lebensjahr die Zahl der Verletzten pro gefahrenen Kilometer wieder zu; sie erreicht aber erst bei über 80 Jahre alten Fahrern das Niveau der 18–24-Jährigen.“ Trotzdem kommt der Verkehrsminister von Baden-Württemberg auf die Idee, dass Ältere über 65 Jahre ihren Führerschein freiwillig abgeben sollen.
• Dieses Beispiel macht auch die Diskriminierung der älteren Landbevölkerung deutlich:
Denn ohne Führerschein kann ein Älterer – allenfalls – in einer Großstadt – wie Stuttgart – Mannheim – Karlsruhe – Ulm und Freiburg – seine Mobilität wahren – auf dem Land geht das nicht. Denn in ländlichen Regionen kommt es nicht darauf an, ob dort überhaupt ein Bus fährt – sondern wie oft am Tag. Die ländliche Bevölkerung ist auf das Auto angewiesen, um mobil zu bleiben.
• Weitere Beispiel haben wir in unserem Sonderheft Stadt – Land– Debatte niedergeschrieben – das liegt an unserem Info-Stand im Foyer aus. Bitte nehmen Sie es mit.
• Eine weitere Diskriminierung von Älteren findet im Bankensektor statt – und das ist auch die Überleitung zum Hauptthema des Seniorentags: Welche politischen Rahmenbedingungen braucht es, damit Seniorinnen und Senioren möglichst lange selbstbestimmt leben können? Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es für Senioren schwierig ist, Kredite für notwendige Umbaumaßnahmen zu erhalten. Ja – Quartiersansätze stellen eine Möglichkeit dar, das Leben alters- und generationengerecht zu organisieren. Und da ist die Frage: Wie wollen die Senioren in welchem Quartier leben?
Der Projektentwickler Carestone und das Marktforschungsinstitut Ipsos haben zusammen Ende 2021 eine Trendstudie zu diesem Thema durchgeführt.
Das wichtigste Ergebnis ist:
Künftige Seniorengenerationen wollen in individualisierten Gemeinschaften so lange wie möglich urban und mit größtmöglicher Unabhängigkeit in der Mitte der Gesellschaft leben.
Der Projektentwickler fordert deshalb:
• Altersgerechtes Wohnen im urbanen Raum soll integralerBestandteil von Quartiers- und Stadtteilplanung sein. Konkret sollten altersgerechte Wohnformen eine eigene Nutzungsart im Bauplanungsrecht erhalten.
• Um alternative Wohnformen, wie ambulant betreuteWohngruppen oder Pflege-WGs, in Städten in erfordertem Umfang umzusetzen, müssen die rechtlichen Regelungen auf Landesebene vereinheitlicht und vereinfacht werden.
Wenn man die ganze Studie liest, dann fällt einem das Gedicht von Kurt Tucholsky ein:
Das Ideal von 1927
Ja, das möchste:
Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;
mit schöner Aussicht, ländlich-mondän,
vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn –
aber abends zum Kino hast du ́s nicht weit.
Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit:
Und weiter unten im Gedicht bringt er das Ganze auf den Punkt:
manchmal scheints so, als sei es beschieden
nur pöapö, das irdische Glück.
Immer fehlt dir irgendein Stück.
Hast du Geld, dann hast du nicht Käten;
hast du die Frau, dann fehln dir Moneten –
hast du die Geisha, dann stört dich der Fächer:
bald fehlt uns der Wein, bald fehlt uns der Becher.
Mein Sohn hat in Augsburg studiert und mich auf das erste funktionierende Quartierskonzept hingewiesen: Die Fuggerei des Jakob Fugger in Augsburg – für Ältere – gottgefällige Menschen.
Jakob hatte folgende Leitlinien:
«Selbstbestimmung und Würde zu stärken».
«Bedürftigkeit meistern»
«Spiritualität entwickeln»
«Humanistische Werte garantieren»
«Sicherheit geben».
Wenn wir zukünftige Quartierskonzepte daran ausrichten, sind wir auf einem guten Weg.
Vielen Dank Herr Dr. Rülke, dass Sie diese Veranstaltung ermöglicht haben,
Vielen Dank an Sie – dass Sie an diesen brennenden Fragen interessiert sind.
Es ist unsere Zukunft. Und wir liberale Senioren kümmern uns darum.
Viel Spaß bei den Fachreferaten
Und – diskutieren Sie mit!