Von Gastautor Uwe Schwarz
Bürokratie, ursprünglich von den alten Griechen als »Herrschaft der Verwaltung« bezeichnet, und unser Menschenbild, also unsere Vorstellungen über die Wesensart und die Natur des Menschen, mögen auf den ersten Blick wie zwei unabhängige Aspekte erscheinen. Doch bei genauerer Betrachtung sind sie tiefgehend miteinander verknüpft.
Um dies besser zu verstehen, sollten wir einen Perspektivwechsel vornehmen. In unserer Welt existieren sowohl natürliche Systeme wie das Ökosystem als auch von Menschen geschaffene Systeme, darunter unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sowie politische Strukturen wie die Demokratie.
Ironischerweise tendieren wir dazu, von Menschen erschaffene Systeme als ebenso unveränderlich und fest wie natürliche Systeme zu betrachten. Diese Denkweise hindert uns daran zu erkennen, dass diese menschengemachten Systeme tatsächlich modifizierbare Konstrukte sind, die sich verändern können. Dies ist besonders relevant, wenn wir unser Menschenbild einer kritischen Überprüfung unterziehen.
Jedes von Menschen geschaffene System ist geprägt von unserer Geschichte, unserer kulturellen Entwicklung und unserer psychologischen Entwicklung. Dies zeigt sich in der Geschäftswelt besonders deutlich durch das Konzept der „Unternehmenskultur“, das als entscheidender Erfolgsfaktor anerkannt wird. Bei kleineren Unternehmen spiegelt die Firmenkultur oft die Persönlichkeit des Eigentümers wider.
Das zugrunde liegende Menschenbild hat also maßgeblichen Einfluss auf die Gestaltung bürokratischer Strukturen. Ein pessimistisches Menschenbild, das Bürgern grundsätzlich misstraut, führt zu einer restriktiveren Bürokratie im Vergleich zu einem optimistischen Menschenbild, das auf Vertrauen und Kooperation setzt. Wenn Entscheidungsträger den Bezug zur Lebensrealität der Bürger verlieren, entsteht eine Diskrepanz zwischen den festgelegten Regeln und der gelebten Realität. In der Geschäftswelt wird dies als „mangelnde Kundenorientierung“ bezeichnet, in der Politik und Verwaltung spricht man von einer Entfremdung von den Bürgern.
Eine zunehmende Bürokratisierung führt dazu, dass sowohl Unternehmen als auch öffentliche Einrichtungen immer mehr Ressourcen in nicht wertschöpfende Tätigkeiten investieren müssen, gerade in Zeiten von Fachkräftemangel. Der Abbau von Bürokratie ist jedoch eine enorme Herausforderung, nicht nur aufgrund etablierter Strukturen und Prozesse, sondern auch aufgrund vorherrschender Mentalitäten und Menschenbilder.
Ein erfolgreicher Abbau von Bürokratie erfordert daher ein tiefes Verständnis für die Menschen, die innerhalb dieser Strukturen arbeiten. Dabei sollten sowohl die formalen als auch die kulturellen Aspekte berücksichtigt werden. Schließlich sind es die Menschen, die Veränderungen vorantreiben oder blockieren, nicht nur formale oder praktische Barrieren.
Ein umfassender Ansatz, der das Menschenbild und die Verwaltungskultur in den Fokus stellt, ist unerlässlich.
Bürokratie und Fortschritt im Dienste der Bürger
Die Verbindung zwischen Bürokratie und Menschenbild reicht weit über die bloße Festlegung von Regeln und Vorschriften hinaus. Sie bildet den Kern unserer Interaktion als Gesellschaft, unserer Entscheidungsfindung und unserer Gestaltung der Zukunft. Das Gleichgewicht zwischen notwendiger Regulierung und individueller Freiheit ist entscheidend für die Entfaltung individueller und kollektiver Potenziale.
In einer Zeit rasanten technologischen Fortschritts und globaler Vernetzung sollten unsere bürokratischen Systeme nicht nur reagieren, sondern aktiv gestaltet sein. Sie sollten Bürger nicht behindern, sondern als Katalysator für Innovation, Kreativität und sozialen Zusammenhalt dienen. Die entscheidende Frage lautet: Wie können wir bürokratische Strukturen anpassen, damit sie unserer dynamischen, vielfältigen und digitalisierten Gesellschaft gerecht werden?
Ein erster Schritt wäre die Einführung eines regelmäßigen „Bürokratie-Checks“. Ähnlich wie der TÜV für Autos könnten bestehende Gesetze und Vorschriften in kürzeren Abständen auf ihre Aktualität und Wirksamkeit hin überprüft werden, unter Einbeziehung des Feedbacks der Bürger und Unternehmer, die täglich mit den Auswirkungen dieser Vorschriften leben.
Die Digitalisierung der Verwaltung sollte weiter vorangetrieben werden. Dies umfasst nicht nur die Online-Abbildung von Prozessen, sondern auch die Nutzung neuer Technologien, um bürokratische Hürden zu minimieren und die Transparenz zu erhöhen.
Zudem ist eine umfassende Bildungsinitiative erforderlich, um die Kompetenzen der Mitarbeiter in öffentlichen Einrichtungen zu stärken. Eine moderne Verwaltung erfordert modern geschultes Personal, das den Anforderungen und Erwartungen des 21. Jahrhunderts gerecht werden kann.
Abschließend sollten wir als Gesellschaft klare Forderungen stellen:
- Regelmäßige Überprüfung und Anpassung bestehender Vorschriften an die Anforderungen der Gegenwart.
- Erhöhter Einsatz von Technologie zur Effizienzsteigerung und Transparenz in bürokratischen Prozessen.
- Stärkere Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess, durch direktes Feedback und partizipative Ansätze.
Nur durch einen konsequenten Wandel in unserer Herangehensweise an Bürokratie können wir sicherstellen, dass sie ihrem eigentlichen Zweck dient: dem Wohl und Fortschritt aller Bürger.
Uwe Schwarz ist Unternehmensberater, Landesvorstand „Mehr Demokratie e.V“ Baden-Württemberg, Vorsitzender Liberaler Mittelstand Regionalverband Donau Iller und Kreisvorsitzender des FDP Kreisverbandes Alb-Donau.